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,,Wir waren echt überfordert"
Ein Interview mit den Kaulitz-Brüdern (,,Tokio Hotel") über ihre neue CD, falsche Karriere-Entscheidungen und ihren Mega-Hit ,,Monsun"
Genau 17 Jahre ist es her, dass Tokio
Hotel ihren Megahit ,Durch den
Monsun" veröffentlichten. Über
eine Zeit, in der die Band sechs Stu-
dioalben veröffentlicht, mehr als
zehn Millionen Platten verkauft
und in 68 Ländern mehr als 70 Pla-
tin- und 120 Gold-Awards und 110
nationale und internationale
Awards verliehen bekommen hat.
Kürzlich ist das neue Album ,2001"
erschienen, im April und Mai 2023
wird die Band durch Europa tou-
ren. Die Digitale Sonntagszei-
tung sprach mit den Brüdern Bill
und Tom Kaulitz, die das Herz
der Band bilden.
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2020 gab es eine Neuauflage von
,,DurchdenMonsun". Dastecken
natürlich viele Erinnerungen
drin. Jetzt steht das neue Album
,2001" in den Läden. Warum gab
es diese neue Monsun-Version?
Bill Kaulitz: Mit Abstand kann
man seine Vergangenheit wieder
umarmen. Heute kann man über
die Lächerlichkeiten und Verrückt-
heiten von damals lachen. Man ver-
steht das Leben ja immer nur rück-
wärts. Viele haben uns immer ge-
fragt, wie das mit ,Monsun" ist, ob
wir da noch Bock drauf haben, den
Song zu hören. Wir haben das im-
mer als Glück empfunden, dass es
ein Wort gibt, bei dem man sofort an
eine Band denkt.
Tom Kaulitz: Dieser Song ist natür-
lich larger than life. So ein Hit kann
Segen und Fluch sein für eine Band.
Für uns war ,,Monsun" nie eine
Last. Wir haben ihn auch immer
gerne live gespielt und als er Ge-
burtstag hatte und 16 Jahre alt wur-
de, dachten wir,Wie würden wir die-
sen Song heute spielen?
Die Ursprungs-Version steht nun auf
dem Index?
Tom Kaulitz: Auf gar keinen Fall.
Wir hatten nach 20 Jahren einfach
Bock auf eine neue Version, was
aber nicht heißt, dass wir die alte
nicht mehr mögen. Wir haben diese
Version auch pünktlich zum Jubilä-
um rausgebracht, das wareigentlich
eine Spielerei und auch mehr ein
Geschenk an uns und an die Fans.
Und der Kick-off für das neue Al-
bum. ,,Monsun" ist eine von sechs,
sieben Singles, die wir in den ver-
gangenen zwei Jahren veröffent-
licht haben. Wir dachten uns, Fuck,
wir müssen ein richtiges Album ma-
chen, das mehr bietet als nur Sing-
les! Die neue Platte ist auch über
einen langen Zeitraum entstanden.
Es ist das Beste aus vier Jahren
Songwriting. Damit hat sich ein
Kreis geschlossen. Wir haben da-
rauf zurückgeschaut, wo wir eigent-
lich herkommen und was seitdem
passiert ist.
Wenn Sie zurückblicken: Was bleibt
hängenvon dieser Zeitreise bis heute?
Tom Kaulitz: Es gab karrieretech-
nisch natürlich auch einige Fehlent-
scheidungen, aber das gehört dazu.
Wir wurden vom Erfolg überrollt.
Wir waren am Anfang auch echt
überfordert. Als ,Monsun" raus-
kam, waren wir gerade mal 15 Jahre
alt. Damals durften wir unseren 16.
Geburtstag dann nicht mehr alleine
feiern, sondern als Deal mit einer
Tageszeitung. Alles war ein großes
Politikum. Es herrschte ein wahn-
sinniger Druck.
Bill Kaulitz: Wenn man zurück-
schaut, sind wir auch dankbar, dass
wir uns immer noch haben und zu-
sammen sind! Natürlich spielen wir
,Monsun" immer noch, er ist live
weiterhin ein magischer Moment
und bleibt für immer besonders!
Überall auf der Welt. Eigentlich
würden wir alles wiederso machen,
denn all die Highs and Lows gehö-
ren dazu und machen eine Karriere
aus. Das geht nicht ohne Schmerz.
Sie haben sicher das Archiv geplün-
dert für diesen Rückblick, oder?
Bill Kaulitz: Total. Das war sehr lus
tig. Ich habe in meiner ersten Bio-
grafie über die ersten 30 Jahre mei-
nes Lebens geschrieben. Auch da
taucht man ein und es fiel mir fast
leichter weit zurück zu blicken an
die krassen Anfänge von Tokio Ho-
tel als an das, was jetzt näher bei uns
ist. Über den Schmerz und die Wun-
den von einst ist schon gut etwas
drübergewachsen. Dann kann man
das anders anschauen und anneh-
men. Aber teilweise schaue ich mir
Bilder von damals an und denke,
das fühlt sich an wie ein anderes Le-
ben.
Tom Kaulitz: Du hast mit 33 mit dei-
nem 15-jährigen Ich auch wenig zu
tun. Teilweise tut es auch etwas weh,
ich gucke mir auch mal Bilder an
und weiß da ging es mir gar nicht
gut. Da habe ich mich gequält und
wollte alles hinschmeißen.
Aber was ist besonders an der Sache?
Bill Kaulitz: Wir sind seit 20 Jahren
eine Band und das feiern wir mit
dem neuen Album auch ein biss-
chen. Und das Gefühl, das wirmitei-
nander haben, ist immer noch das
Gleiche. Wie wir heute noch zu-
sammen in dieser Bubble sind, da
hat sich nichts verändert. Das ist
einfach schön.
Dabei wohmen Sie in Los Angeles,
Gustav und Georg in Deutschland.
Tom Kaulitz: Gustav wohnt in Mag-
deburg, hat sich da ein Haus gebaut
und hat Family Georg wohntin Ber-
lin. Wir sehen uns ziemlich oft per
Zoom und wir telefonieren fast je-
den Tag. Es ist bei uns wie in einer
Familie. Wir sind zusammen aufge-
wachsen, haben alles gemeinsam
durchgemacht. Ich produziere 90
Prozent der Sachen, wir haben in
L.A. unser Home-Studio und ma-
chen da alles fertig. Georg und Gus-
tav kommen immer für die Tour Vor-
bereitung dazu. Sie sind im Song-
writing-Prozess auch immer mal da-
bei, vor allem beim neuen Album.
Da gab esjetzt schon wieder das Ge-
fühl back to the Roots. Bill und ich
sind beruflich oft in Deutschland,
Berlin ist die zweite Heimat für die
Band geworden. Wir machen die
Tour-Vorbereitung dort, haben die
ganze Backline da. Im nächsten
Jahr spielen wir im Rahmen der
Tour natürlich auch wieder in Ber-
lin.
Bill Kaulitz: Das ist total easy mit
dem Kontakt unter uns Vieren. Es
fühlt sich gar nicht so an, als wenn
wir auf verschiedenen Kontinenten
wohnen.
L.A. war damals eine Flucht vor
durchgeknallten, weiblichen Fans.
War das der richtige Schritt oderwol-
len Sie auch mal wieder zurück nach
Deutschland?
Bill Kaulitz: Das wargenau derrich-
tige Schritt und ich gehe sogar noch
weiter, denn wir hätten das viel frü-
her machen sollen. Ich schaue heu-
te zurück und denke mir: Warum
haben wir uns so lange gequält mit
so einem Leben, was garkein Leben
war neben der Karriere?' Wir hät-
ten schon mit 18, also zwei Jahre
früher abhauen sollen. Auch heute
ist es so, dass wir einen guten Ab-
stand zu allem bekommen. Wir ha-
ben da unseren Rückzugsort und
können dort privat sein. Wir haben
in L.A. ein richtiges Leben entdeckt
und sind dort erwachsen geworden.
Jetzt sind wir schon 13 Jahre dort
und haben uns auch erst richtig ken-
nengelernt außerhalb der Karriere.
Sie sind in der 8. Klasse raus aus der
Schule.
Tom Kaulitz: Ganz genau. Wir ha-
ben als Teenager angefangen, sind
in der 8. Klasse raus aus der Schule
und sind danach durch die Welt ge-
tourt. Wir wussten gar nicht, wie
das Leben funktioniert oder wer wir
wirklich sind. Wir haben damals
eine sehr lange Pause gemacht und
erstmal alles nachgeholt. Wir
wussten zu dieser Zeit auch
nicht, wann wir mal wieder
eine Platte veröffentlichen.
Diese Balance von heute hät-
ten wir viel früher haben kön-
nen. Ich würde es immer
wiedergenauso machen. Für
uns fühlt es sich gut an, wir
waren noch nie glücklicher
mit unserer Karriere als heu-
te. Wir fühlen uns so wohl wie
nie zuvor.
Wann haben Sie damals eigent-
lich realisiert, dass das Ding durch
die Decke geht?
Bill Kaulitz: Es gab ein Erlebnis, als
wir merkten, dass ab jetzt alles an-
ders sein wird. ,Monsun" war noch
nicht draußen, wir haben aber
schon eine Promo-Tour gemacht.
Wir waren auf einem Dorf-Fest ge-
bucht. Da gab es auch schon eine
höhere Gage für unsere Verhältnis-
se, ich glaube 2000 Euro. Das ganze
Fest war aber völlig überlaufen und
geriet außer Kontrolle. Es war be-
ängstigend. Wir saßen Backstage
und das ganze Zelt wackelte. Die
Leute wollten rein und auch unser
Van wurde demoliert. Da haben wir
uns angeschaut und wussten, dass
unser Leben nie wiederso sein wird,
wie es mal war.
Tom Kaulitz: Ich wurde mit einem
Ei beworfen und als mein Cap da-
durch runterflog, war mir klar: ,Ab
jetzt wird alles anders' und auch
nicht nur positiv.
Gab es bei Ihnen beiden mal Zoff,
Tränen und anschließend eine Rie-
sen-Versöhnung?
Tom Kaulitz: Ich wünschte, ich
könnte von einer krassen Phase be-
richten, nach der wir uns wieder zu-
sammengerauft haben. Aber es gab
wirklich nie Streit. Als Kinder ha-
ben wir uns natürlich mal gestritten
oder hatten auch mal andere Freun-
de und sind durch eine schwere Tee-
nie-Phase gegangen, wo der eine
cooler sein wollte als der andere.
Doch wir sind nie auseinanderge-
brochen. Ab 18 wurde unser Ver-
hältnis immer enger. Wir haben so
eine krasse Verbindung, die wir
n auch schwer beschreiben können.
Viele können sich das gar nicht vor-
stellen. Bill und ich haben bis vorei-
nigen Jahren noch zusammen ge-
wohnt. Wirhaben alles miteinander
gemacht. Wirhaben auch dieselben
Freunde und haben gar kein separa-
tes Leben geführt. Und das tun wir
auch bis heute nicht.
Bill Kaulitz: Es gibt auch keinen
Tag, an dem wir nicht miteinander
usprechen. Zwölf Stunden ist so das
Längste. Dann kommt sofort der
Anruf beim anderen. Wir haben
eigentlich eine Standleitung zuei-
- nander (lacht). Wenn wir uns mal
rewegen beruflichen Dingen streiten,
sprechen wir zwei Stunden später
schon wieder miteinander. Dann
fragt der eine den anderen: ,Was
wollen wir zu essen bestellen?' Wir
wohnen auch nur 20 Autominuten
voneinander entfernt.
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