Natürlich, es liegt vor allem an uns Fragestellern die richtige Würze ins Gespräch zu bringen und spannende Infos herauszukitzeln, aber viele Künstler sind dagegen schon lange resistent. Am Ende hat man dann ein Interview, das höchstens noch über 50-jährige „DIE BUNTE“-Abonnenten hinter dem (Kachel)-Ofen hervorlockt.
Als die Anfrage für ein Interview mit Tokio Hotel kam, verschwand mein sonst so unerschütterlicher Pessimismus ziemlich schnell. Tokio Hotel, das ist diese Band, von der man eigentlich nicht so wirklich weiß, was sie gerade so treibt; die vor über zehn Jahren mit mittelmäßigen Rocksongs Fans zum Weinen und Französinnen zum Deutsch lernen brachte und die man immer leicht herablassend belächelte.
„Haha, Tokio Hotel, nee, den Scheiß habe ich nie gehört! Verstehe nicht, warum die so erfolgreich waren! Und was machen die aktuell eigentlich, von denen hat man doch schon lange nichts mehr gehört!“ Ein Interview mit der Band, die irgendwann keinen Bock mehr auf Deutschland hatte und sich nach L.A. verzogen hat, das könnte doch interessant werden! Also, was hat sich bei Tokio Hotel so getan? Wie haben sie sich verändert? Wie hat sich ihre Musik verändert?
Letzteres kann ich direkt beantworten: Seit etwa einem halben Jahr ist ihr Album „Dream Machine“ draußen – und es hat mit dem Teenie-Rock aus früheren Tagen überhaupt nichts mehr gemein. Heute machen Tokio Hotel Synthie-Pop, der klar auf die 80er schielt. Jetzt, wo dieses Jahrzehnt wieder so abgefeiert wird, gar keine so schlechte Idee – und ich muss sagen: Das klingt gar nicht mal so schlecht! Dass ich das mal ironiefrei behaupten würde, hätte ich auch nicht gedacht. Da ich nun also über diese Brücke gegangen bin, bin ich auch bereit für das Interview mit Bill, Tom, Georg, Gustav – und zwei riesigen Hunden, die mit im Raum sind.
Ich komme direkt mal auf’s aktuelle Album „Dream Machine“ zu sprechen, was mir wirklich gefallen hat! Mit diesem Album seid ihr vom Major-Label weg, habt es komplett selbst produziert, alle Entscheidungen getroffen. War das also wie eine Art Befreiungsschlag?
Bill: Ja, würde ich schon sagen. Wir mussten zum ersten Mal mit niemandem mehr zusammenarbeiten. Davor gab es immer noch Produzenten, mit denen wir schreiben und produzieren mussten, und jetzt war es das erste Mal so, dass wir wirklich gar nichts mehr mussten. Wir wollten vorab keinen Vertrag unterschreiben, sondern uns zuerst auf die Musik konzentrieren, um danach erst eine Plattenfirma zu suchen, die das dann auch richtig geil findet. Uns ging es darum, erst einmal Musik zu machen, die wir total gut finden und mit der wir durchweg happy sind, und dann nur Leute mit an Bord zu holen, die das, was wir gemacht haben, geil finden und auch richtig dafür brennen…
Tom: …und eben nicht von vornherein mit einer Strategie kommen von wegen “Jungs, ihr müsst mal das, das und das machen!”, sondern die nur das hören, was wir machen wollen und uns dann eben sagen ob sie’s geil finden oder nicht.
Bill: “Starwatch” fand es dann am Geilsten, also haben wir uns für die entschieden.
Da spürt man bei euch auch schon die Erfahrung und das Selbstbewusstsein, das ihr über die Jahre gesammelt habt. Ihr wisst mittlerweile, was ihr wollt.
Bill: Wir sind ein bisschen dahin zurückgegangen, wo wir angefangen haben, lange vor “Durch den Monsun”. Wir haben damals schon die Musik selbst geschrieben und sind auch damit aufgetreten. Wenn dann natürlich irgendwann andere Leute mitsprechen, also das Hobby zum Beruf wird, dann verliert man zwischendurch schnell mal seinen Weg und damit auch die Essenz des Ganzen. Wir machen das, was wir machen, ja, weil wir gerne Musik schreiben und auf der Bühne stehen. Tom produziert und schreibt gerne, also haben wir uns in ein Studio gestellt und einfach mal geschaut, wie es alleine so läuft. Es lief gut, wir waren alle happy damit und deshalb haben wir auch keine anderen Schreiber oder Produzenten mit dazu geholt.
Das Album heißt „Dream Machine“ – darin erzählt ihr vom Abtauchen in eine Traumwelt, dem sich-entfernen von der Realität. Ist euch die Realität nicht gut genug?
Tom: Ich glaube, das ist so ein Auf und Ab. Manchmal gefällt einem die Realität ganz gut und manchmal auch ein bisschen weniger. Der Albumtitel “Dream Machine” stand allerdings schon fest, bevor wir den Song dazu hatten. Eigentlich schon, bevor wir überhaupt richtig an dem Album gearbeitet haben. Ich weiß gar nicht mehr so richtig, wieso …
Bill: Weil Tokio Hotel für uns ein Zufluchtsort ist. Die Band ist für uns eine Art Traumwelt, die wir uns neben unseren unterschiedlichen privaten Alltagen selbst erschaffen, mit den ganzen Songs und eben auch den Touren. Wir können uns ein Leben ohne all das nicht mehr vorstellen, und das ist für uns, glaube ich, dieser Punkt, an den wir immer wieder zurückgehen. Eine Konstante in unseren Leben, egal was außerhalb der Band passiert und was privat so bei uns abgeht. Wir wollen einfach immer wieder zurück in diese Traumwelt, wo wir mittlerweile machen können, was wir wollen. Darum heißt das Album “Dream Machine“.
In den Songs geht’s vordergründig um Sinnsuche, Blicke in die Vergangenheit und die damit verbundene Angst sich nicht zu wiederholen, auch weiterhin immer neue, aufregende Dinge zu erleben. Gefühle, die uns „Millennials“ ja auch irgendwie umtreiben.
Tom: Das hat bei uns auf alle Fälle einen persönlichen Hintergrund. Wir hatten so jung schon viel Erfolg, hatten mit 18 praktisch schon die ganze Welt bereist. Manchmal fragt man sich, ob überhaupt noch etwas Neues kommt, und da ist auch Angst davor dabei, dass alles was noch kommt nur eine schwächere Variante ist von dem, was man schon mal gefühlt hat. Wenn man was zum ersten Mal macht, darüber reden Bill und ich ganz oft, ist das ja eigentlich immer am Geilsten. Die erste Nummer Eins, das erste Mal Drogen nehmen, auf MDMA sein, das erste Mal Sex…
Wobei, das jetzt nicht so unbedingt. Es ist auf jeden Fall am Aufregendsten, Sachen das erste Mal zu erleben, und danach ist es immer nur eine Form davon, aber eben nicht mehr so aufregend. Manchmal muss man die Perspektive ändern, um Dinge noch mal und auch anders zu genießen, statt in der selben Form, nur schwächer. Darum geht es ja bei “Something New”, was die erste Single war, und das hat sich thematisch dann so ein bisschen durch das Album gezogen. Aber das liegt glaube ich vor allem daran, dass es für uns so eine persönliche Geschichte ist, auch aufgrund der “Von Null auf Hundert”-Karriere. Wir haben so früh schon so viel gemacht, irgendwann wiederholen sich dann eben auch Sachen, und man denkt sich “Fuck, hoffentlich …”
Bill: Man bekommt so etwas wie eine viel zu frühe Midlife-Crisis.
Tom: Ja, man denkt sich manchmal “Hoffentlich bleibt alles aufregend genug!”. Bill und ich haben uns sogar schon gewünscht, dass Aliens auf die Erde kommen, einfach weil es für uns etwas Neues wäre und alleine deshalb spannend. Wir lieben Aufregung, Adrenalin und Stress. Wir genießen das total, aber manchmal haben wir auch Angst, dass uns nichts mehr so richtig erschüttern kann. So wie das vielleicht bei den ersten Malen noch war, bei den ersten Malen auf jedem Level. Wir sind mit der Band an einem Punkt, wo wir glücklicher sind denn je, aber solche Sachen gehen einem trotzdem manchmal durch den Kopf.
Mit Blick auf die deutsche Musiklandschaft habe ich so das Gefühl, dass ihr für diesen Markt zu unkonventionell seid. Glaubt ihr, dass ihr nicht deutsch genug seid für Deutschland?
Bill: Wir sind nicht die klassischen deutschen Künstler, wie man sie gerne hat, so Singer-Songwriter, die dann dasitzen, auf Deutsch singen und immer down to earth sind. Wir haben schon immer sehr viel Show gehabt, viel Visuelles. Wenn amerikanische Künstler das machen, finden die Deutschen das okay, aber wenn die eigenen es tun wiederum nicht. Für uns wurde der ausländische Markt auch ganz schnell interessanter. Wir haben nie versucht die netten Nachbarjungs zu sein, die in Deutschland eine Karriere hinlegen.
Der Erfolg im Ausland hat uns entspannt gemacht, auf viele Dinge haben wir einfach geschissen, weil wir den Luxus hatten, dass wir nie auf Deutschland angewiesen waren. Wir mussten uns über den deutschen Markt nie Gedanken machen, was der gerne hören will, sondern konnten das globaler sehen, uns mehr ausleben, freier sein in dem, was wir wirklich machen wollen. Mittlerweile geht es uns nur noch darum, selbst Spaß an dem was wir machen zu haben.
Im deutschen Radio wurden wir noch nie gespielt, nicht mal damals mit “Durch den Monsun”. Wir hatten noch nie eine air play top ten, noch nie. Es ist bis heute so, dass die Sender unsere neuen Songs zwar bekommen, aber dann solche Sachen sagen wie “Wenn das von Coldplay wäre, würden wir es auf heavy rotation nehmen, aber da es von Tokio Hotel ist, spielen wir es nicht.”. Das ist halt einfach so. Wir brauchen überhaupt nicht versuchen, einen Radio-Song für Deutschland zu schreiben. Es ist inzwischen total klar, dass die das sowieso nicht spielen. Und das nimmt man dann auch so hin. Wir haben da eine ganz gute Entspanntheit entwickelt.
Ihr habt euch vor ein paar Jahren dann ja auch nach L.A. verzogen, um ein bisschen Abstand von Deutschland zu gewinnen. Wie hat sich denn Deutschland aus eurer Sicht verändert, als ihr nach einer Weile wieder hier wart?
Bill: Ich glaube, es ist einfach entspannter geworden. Die Leute sind uns gegenüber respektvoller geworden, jetzt wo wir etwas älter sind. Für uns ist es einfacher geworden, hier rumzulaufen. Ich bin inzwischen auch viel lieber wieder in Deutschland. Es ist ein bisschen so, wie wenn man irgendwo Urlaub macht. Man kriegt dann nur die schönen Sachen mit, weil man hier keinen Alltag hat. Deswegen kann ich Berlin auch ganz anders genießen als früher und finde es total schön, hier zu sein. Auch, weil ich weiß, ich kann wieder weg.
Abgesehen von Rammstein wart ihr einst der Grund, warum zum Beispiel Franzosen deutsch gelernt haben, um eure Texte zu verstehen. Diesen spracherweiternden Dienst erweist ihr Deutschland ja jetzt nicht mehr, sind deutsche Texte kein Thema mehr?
Bill: Wir haben nach dem dritten Album aufgehört, deutschsprachig zu singen, weil die Songs beim Schreiben auf Englisch entstanden sind. Früher mussten wir die im Anschluss immer auf Deutsch übersetzen und haben uns auch so ein bisschen gezwungen gefühlt, das zu machen. Irgendwann war das für uns dann nicht mehr natürlich und wir dachten: ‘Okay, wenn die Songs alle auf Englisch entstehen, dann lasst sie uns doch auf Englisch lassen!”. Es gab damals ein paar Diskussionen mit der Plattenfirma, weil die das natürlich auf Deutsch haben wollten, aber wir haben uns dagegen geweigert und es einfach nicht mehr gemacht.
Tom: Also es ist nicht so, dass Deutsch gar keine Rolle mehr spielt, aber wir haben die Regel aufgestellt, dass wir die Songs in der Sprache lassen, in der sie entstehen.
Bill: Ich glaube aber nicht, dass wir in naher Zukunft wieder auf deutsche Texte umsteigen werden. Als wir damit angefangen haben, gab es kaum andere Künstler, die erfolgreich deutsche Musik gemacht haben. Das hatte aber nichts mit irgendeiner Verbindung zu unserer Muttersprache zu tun, sondern wir konnten einfach kein Englisch. Und jetzt gibt es ja diesen Trend zu deutschsprachiger Musik. Das ist momentan die Allzwecklösung für all die Leute, die keinen Erfolg mehr haben, weil es so ein sure shot ist. Vielleicht entsteht bei uns irgendwann noch einmal ganz natürlich ein deutscher Song, aber es fühlt sich gerade nicht danach an.