Das "Berghain" wird jetzt mit Bill Kaulitz beworben, und in Kreuzberg hat man wieder Angst vorm schwarzen Mann. Ist das das Ende von Berlin?
читать дальшеDie Avantgarde besteht größtenteils aus mittelmäßigen Schriftstellern oder alkoholabhängigen Steakfans. Selbst die Berliner Clubkultur, die gerne als Kreativmotor und Touristenmagnet genannt wird, ist in einem zweifelhaften Zustand. Während René Gurka, der frühere Chef der Berlin Marketing Agentur "Berlin Partners" nach seinem Rücktritt (Ungereimtheiten bei Auftragsvergabe) jetzt mit dem nächsten Hype, nämlich 3D-Druckern, arbeitet, warben die Stadtmarketingleute von "Berlin.de" kürzlich damit, dass Bill Kaulitz von Tokio Hotel gerne mal ins "Berghain" gehen würde. Also nicht etwa damit, dass er da war. Oder nicht reingekommen ist. Der Konjunktiv der Verzweiflung!
Im "Berghain" allerdings ist inzwischen auch die letzte Poritze im Dark-room von weltweit jedem Magazin ausführlich beleuchtet worden. Damit ist dieser Freudenpfuhl ähnlich spannend wie das Phänomen der sogenannten "Latte-macchiato-Mütter" in Prenzlauer Berg. Ein Mythos, der, je öfter man versucht, ihn zu beschreiben, nur hohler werden kann.
Der Pionierstatus der Nachwendezeit ist vorüber: Überall gibt es Clubs, die aussehen wie die in Berlin: viel Holz, viel Beton. Sogar dieselbe Musik läuft dort.
Es sind eh in den letzten Jahren auch keine großen Neuerungen aus der Berliner Clubkultur entstanden. Außer vielleicht der Plan, im kommenden Sommer wieder eine Art Loveparade unter dem Titel "Zug der Liebe" durch die Straßen bollern zu lassen. "Für die liebevolle Annahme ALLER Gegensätze fordern wir dich zum Tanz auf! Hin zu Friede, Freude und Liebe!" Heißt es Furcht einflößend in der Facebook-Einladung (Schon über 17.000 Zusagen!). Und weil es ein wenig Kritik gab, dass die Veranstaltung zu inhaltslos sei, fügte man eben schnell noch ein paar Inhalte ein. Um Flüchtlingspolitik soll es bei der Parade nun gehen, um Jugendschutz und Grünflächenplanung. Also um fast alles, was in Berlin politisch derzeit so grandios schiefläuft. Auch gegen Gentrifizierung soll sich der Zug natürlich richten. Etwas, was er vielleicht noch am ehesten erfüllen könnte.
Apropos Party: Weiß irgendwer, wie der aktuelle Bürgermeister aussieht? Absolut kein Starappeal mehr vorhanden. Deswegen hat Wowereit vielleicht den Kulturstaatssekretär und ehemals Musikfirma-Chef Tim Renner hinterlassen. Wer von seinen alten Kumpels was auf sich hält, liked die angestrengt turnschuhhaften Facebook-Posts von Deutschlands Pop-Sekretär und ignoriert elegant Ausfälle wie den Vorschlag seiner Kanzlei im Rahmen der Olympia-Debatte, "Poesie in der U-Bahn, Graffitis an Hausfassaden und Streetdance in den Bezirken" sollten olympisch werden. Kollege Peter Trapp von der CDU machte ähnlich realitätsferne Politikversuche: Aus Jugendschutzgründen wollte er den Alkoholverkauf in Spätkäufen einschränken. Vor allem dort, wo der Alkohol billig ist, soll er nach 22.00 Uhr nicht mehr so leicht zu bekommen sein. Breit sein muss wieder mit Leistung zusammenhängen. Überhaupt, Vertreibung: Inzwischen muss man auf Special-Interest-Veranstaltungen wie den Mai-Rummel in der Neuköllner Hasenheide gehen, um Menschen zu begegnen, deren Zähne nicht jährlich einer professionellen Reinigung unterzogen werden oder die eine andere Hautfarbe haben.
Denn in Kreuzberg wird der diffusen Angst vorm schwarzen Mann neuerdings wieder ganz verständnisvoll begegnet. Und wie sozial bereinigt es dort inzwischen ist, zeigt auch die nur leise Kritik an der Markthalle 9, die gerade versucht, einen Billig-Bekleider zu verdrängen, um noch mehr Regionales verkaufen zu können. Pizza heißt in einem Friedrichshainer Imbiss jetzt "Italian Streetfood".
Es gibt noch mehr Anzeichen dafür, dass die Stadt auf dem absteigenden Ast ist. Stadtplanung ist da immer wieder ein gutes Beispiel. Demnächst baut sich eine Automarke ihr eigenes Stadtviertel auf 6500 Quadratmetern. Mit Wasserspielen auf der gelabelten Piazza. Dort soll nicht nur eine Veranstaltungshalle namens "MusicBox" entstehen, sondern auch 28 "Lifestyle Bowling" Bahnen. Berlin ist hinüber. Das könnte eine der besten Nachrichten für die Stadt seit Langem sein.
www.welt.de/print/wams/kultur/article142062206/...
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Im "Berghain" allerdings ist inzwischen auch die letzte Poritze im Dark-room von weltweit jedem Magazin ausführlich beleuchtet worden. Damit ist dieser Freudenpfuhl ähnlich spannend wie das Phänomen der sogenannten "Latte-macchiato-Mütter" in Prenzlauer Berg. Ein Mythos, der, je öfter man versucht, ihn zu beschreiben, nur hohler werden kann.
Der Pionierstatus der Nachwendezeit ist vorüber: Überall gibt es Clubs, die aussehen wie die in Berlin: viel Holz, viel Beton. Sogar dieselbe Musik läuft dort.
Es sind eh in den letzten Jahren auch keine großen Neuerungen aus der Berliner Clubkultur entstanden. Außer vielleicht der Plan, im kommenden Sommer wieder eine Art Loveparade unter dem Titel "Zug der Liebe" durch die Straßen bollern zu lassen. "Für die liebevolle Annahme ALLER Gegensätze fordern wir dich zum Tanz auf! Hin zu Friede, Freude und Liebe!" Heißt es Furcht einflößend in der Facebook-Einladung (Schon über 17.000 Zusagen!). Und weil es ein wenig Kritik gab, dass die Veranstaltung zu inhaltslos sei, fügte man eben schnell noch ein paar Inhalte ein. Um Flüchtlingspolitik soll es bei der Parade nun gehen, um Jugendschutz und Grünflächenplanung. Also um fast alles, was in Berlin politisch derzeit so grandios schiefläuft. Auch gegen Gentrifizierung soll sich der Zug natürlich richten. Etwas, was er vielleicht noch am ehesten erfüllen könnte.
Apropos Party: Weiß irgendwer, wie der aktuelle Bürgermeister aussieht? Absolut kein Starappeal mehr vorhanden. Deswegen hat Wowereit vielleicht den Kulturstaatssekretär und ehemals Musikfirma-Chef Tim Renner hinterlassen. Wer von seinen alten Kumpels was auf sich hält, liked die angestrengt turnschuhhaften Facebook-Posts von Deutschlands Pop-Sekretär und ignoriert elegant Ausfälle wie den Vorschlag seiner Kanzlei im Rahmen der Olympia-Debatte, "Poesie in der U-Bahn, Graffitis an Hausfassaden und Streetdance in den Bezirken" sollten olympisch werden. Kollege Peter Trapp von der CDU machte ähnlich realitätsferne Politikversuche: Aus Jugendschutzgründen wollte er den Alkoholverkauf in Spätkäufen einschränken. Vor allem dort, wo der Alkohol billig ist, soll er nach 22.00 Uhr nicht mehr so leicht zu bekommen sein. Breit sein muss wieder mit Leistung zusammenhängen. Überhaupt, Vertreibung: Inzwischen muss man auf Special-Interest-Veranstaltungen wie den Mai-Rummel in der Neuköllner Hasenheide gehen, um Menschen zu begegnen, deren Zähne nicht jährlich einer professionellen Reinigung unterzogen werden oder die eine andere Hautfarbe haben.
Denn in Kreuzberg wird der diffusen Angst vorm schwarzen Mann neuerdings wieder ganz verständnisvoll begegnet. Und wie sozial bereinigt es dort inzwischen ist, zeigt auch die nur leise Kritik an der Markthalle 9, die gerade versucht, einen Billig-Bekleider zu verdrängen, um noch mehr Regionales verkaufen zu können. Pizza heißt in einem Friedrichshainer Imbiss jetzt "Italian Streetfood".
Es gibt noch mehr Anzeichen dafür, dass die Stadt auf dem absteigenden Ast ist. Stadtplanung ist da immer wieder ein gutes Beispiel. Demnächst baut sich eine Automarke ihr eigenes Stadtviertel auf 6500 Quadratmetern. Mit Wasserspielen auf der gelabelten Piazza. Dort soll nicht nur eine Veranstaltungshalle namens "MusicBox" entstehen, sondern auch 28 "Lifestyle Bowling" Bahnen. Berlin ist hinüber. Das könnte eine der besten Nachrichten für die Stadt seit Langem sein.
www.welt.de/print/wams/kultur/article142062206/...
@темы: Bill Kaulitz, Билл Каулитц, Tokio Hotel, Токио Отель, Токио Хотель, СМИ, пресса, press