Einst flohen die Kaulitz-Zwillinge vor Stalkern nach Amerika. Nun sind Tokio Hotel zurück, mit dem Album"Kings of Suburbia". Ein Gespräch über Tarnidentitäten, erotische Videos und trinkbaren Rasen.
Es stimmt alles, was Sie über Tokio Hotel gelesen haben: Sie sind erwachsen geworden; sie haben gerade mit ihrem neuen Album "Kings of Suburbia" den besten und bratzigsten Dancepop veröffentlicht, den es in Deutschland je zu hören gab; und sie machen die Musik sogar selbst. Und zwar in Los Angeles (größtenteils), weil die Kaulitz-Zwillinge mittlerweile dort leben. Zum Interview empfangen Bill, Tom, Georg, Gustav und Hund Pumba allerdings in einem Keller in Berlin.
Die Welt: Wie verträgt Pumba das Reisen so?
Bill Kaulitz: Er ist das erste Mal geflogen, aber ihm geht es gut.
читать дальшеDie Welt: Müssen reisende Hunde nicht eigentlich langwierige Quarantäne überstehen?
Bill: Ich habe einen tollen Trick.
Tom Kaulitz: Jetzt verrat' den doch nicht.
Bill: Warum denn? Ich sage, er ist ein Service-Dog, und deswegen darf er die ganze Zeit bei mir in der Kabine bleiben.
Die Welt: Man kann Tokio Hotel schon als die ersten deutschen Popflüchtlinge bezeichnen, oder?
Tom: Geiles Wort.
Die Welt: Wie war das, als Sie entschieden haben, das Land wegen der Belagerung durch die Fans zu verlassen?
Bill: Für uns war das damals eine schnelle Reaktion. Die Situation mit den Fans war schon länger außer Kontrolle. Die Krönung war dann, als bei uns eingebrochen wurde. Wir kamen nach Hause, mein ganzes Zimmer war durchwühlt, meine Unterwäsche, meine Fotos, alles lag in der Gegend herum. Und da standen dreißig Leute vor der Tür, irgendjemand von denen war es, irgendeiner hat es gesehen. Und die Polizei sagte: "Ja, wir wissen leider auch nicht, wer es war, wir sind hier ja nicht bei ,CSI: Miami'." Es gab keine Unterstützung und keinen Schutz. Die Polizei hat uns gesagt, Stalking gebe es doch nur in Liebesbeziehungen; wir müssten eben auch damit umgehen, wenn wir den Erfolg wollen.
Tom: Dann haben wir gesagt: Okay, wir hauen ab.
Bill: Erstmal sind wir nach Heiligendamm ins Hotel und haben überlegt, was wir machen.
Tom: Von da haben wir uns dann online ein Haus ausgesucht, sind nach Hause, haben gepackt und sind einfach los nach L.A.
Die Welt: Aber wird man da nicht sauer auf die vermeintlichen Fans?
Bill: Zwischendurch natürlich, es gab ja auch Eskalationen. Ich hätte besser damit umgehen können, wenn es nur mich betroffen hätte und nicht auch noch Freunde und Familie. Uns konnte niemand mehr besuchen, weil niemand mit reingezogen werden und mit uns fotografiert werden wollte. Nicht mal unsere Putzfrau wollte noch bei uns putzen. Und das konnte ich auch verstehen.
Die Welt: Was erzählen Sie in den USA, was Sie beruflich machen?
Bill: Meistens sagen wir gar nichts. Das finden die dann sehr merkwürdig.
Tom: Da erzählt jeder sofort, was er macht, und rasselt seine Erfolge runter.
Bill: Aber wenn du sagst, du machst Musik, kommen so viele Nachfragen. Wie heißt die Band, wie erfolgreich seid ihr? Manchmal erzählen dann andere von unseren Alben und Touren, das ist mir dann unangenehm, das würde ich niemals machen. Ich sage auch oft, ich würde Fotografie studieren. Nur einmal saß ich mit einem Fahrer zusammen im Auto, der dann dummerweise gleich Fotograf war und mich nach meiner Lieblingslinse gefragt hat. Nikon oder Canon? Voll scheiße.
Tom: Ja, aber was würdet ihr denn auch so schnell sagen, wenn jemand fragt, was du machst?
Die Welt: "Ich habe geerbt"?
Bill: Stimmt, das haben wir mal in Miami gemacht. Da war so ein Typ, der uns die ganze Zeit genervt hat, dem haben wir gesagt, wir sind Schüler und hätten halt so Autos, weil unsere Eltern Geld haben. Aber der hat uns nicht geglaubt und meinte, wir würden so aussehen, als ob wir was könnten. Dann wollte er mit uns in Studio, weil er fand, wir sähen aus, als könnten wir singen.
Tom: Der hat dann gleich einen Manager angerufen. "Hier ist euer Manager, jetzt macht ihr Musik."
Die Welt: Was war die größte Freiheit nach dem Umzug?
Bill: Aufzustehen, die Haustür aufzumachen, und da steht niemand davor. Ich kenne auch nach vier Jahren unsere Nachbarn nicht, keine Ahnung, wie die aussehen oder heißen. Es ist alles viel anonymer. Da gehe ich mit Basecap und Jogginghose raus. Hier muss ich mich erst mal wieder dran gewöhnen, mich zu verstecken und meine Sonnenbrille aufzusetzen.
Die Welt: Würden Sie denn in Deutschland mittlerweile wieder ausgehen?
Bill: Ohne Security traue ich mich nicht. Aber letztes Jahr hatten wir einen ganz guten Partyabend in Hamburg. Das war so ein total dunkler Club, da konnte niemand was sehen.
Tom: Und es gab auch keine blöde VIP-Ecke.
Bill: Es kommt immer auf den Club an. Ich habe zum Beispiel gehört, dass es im "Berghain" gar keine Ecken und Sitzplätze gibt.
Tom: Und ich muss in größeren Gruppen unterwegs sein, um mich wohlzufühlen.
Die Welt: Sie haben erzählt, dass Sie jeden Tag bis sechs Uhr morgens wach sind. Da sehen Sie doch kaum Sonnenlicht. Das geht doch auf die Psyche!
Georg Listing: (murmelt) Das kann allerdings sein.
Tom: Als wir das Album fertig gemacht haben, waren wir an keinem Tag vor sieben im Bett.
Bill: Und um null Uhr fängt dann die zweite Hälfte unseres Arbeitstags an, weil Anrufe und E-Mails aus Europa kommen. Also wir sehen fünf Stunden Tageslicht. Und wir gehen mit den Hunden raus.
Tom: Ich will das aber unbedingt ändern.
Bill: Das wollen wir doch schon immer, kriegen es aber nicht hin. Dabei herrscht in L.A. ein ganz anderer Lifestyle, da steht man früh auf, geht zum Yoga und trinkt grünen Smoothie.
Tom: In einem Laden bei uns um die Ecke gibt es jetzt Rasen, also Gras.
Georg: Zum Essen?
Tom: Nein, zum Trinken. Den gibt es als Shot, und der soll total viel Energie bringen. Schmeckt aber so, als würdest du einen Rasenmäher ablecken.
Die Welt: Sie haben mal erzählt, Sie hätten noch nie einen Joghurt gekauft, weil Sie zu prominent seien, um im Supermarkt einkaufen zu können. Wie kommen Sie bloß in den riesigen Läden in den USA klar?
Tom: Ich kann vermutlich bis heute nicht effizient einkaufen, entweder kaufe ich zu wenig oder zu viel.
Bill: Man darf nicht einkaufen, wenn man hungrig ist. Aber in den USA kannst du alles schon im Laden essen, da machen immer alle schon die Chipstüten auf.
Tom: Das machen wir auch! Darf man das hier?
Gustav Schäfer: Ja, wenn ich Hunger habe, mache ich das auch. Dann wird's halt leer über die Kasse gezogen.
Georg: Das ist doch ekelhaft, mit den ungewaschenen Einkaufswagenhänden.
Die Welt: Was machen Sie als Erstes, wenn Sie wieder nach Deutschland kommen?
Bill: Als Erstes mieten wir ein Auto, damit Tom über die Autobahn fahren kann. Und Oma macht immer Pflaumenkuchen. Der wird meistens eingefroren, weil sie nicht wissen, an welchem Tag wir genau ankommen.
Tom: Und Rhabarberkuchen. Wobei Rhabarber gibt es gerade nicht, habe ich mir sagen lassen, weil keine Saison ist. Ich wurde ausgelacht, aber woher soll ich denn das wissen?
Bill: Ich vermisse alle deutschen Backwaren so sehr.
Tom: Wir haben schon überlegt, ob wir eine deutsche Bäckerei aufmachen.
Die Welt: Nutzen Sie die Zeit in Deutschland, um mit Ihren Familien in Magdeburg das Mauerfalljubiläum zu feiern?
Bill: Nein.
Georg: Feiern das Leute?
Gustav: Da legen alle die Füße hoch und sind froh, dass sie frei haben!
Tom: Wir hören als Band am 3. Oktober sonst eigentlich immer zusammen David Hasselhoff.
Die Welt: Hat sich in Deutschland etwas verändert in den letzten Jahren?
Bill: Die Plattenfirmen sind kleiner. Und jeder Fan will heute nur noch ein Selfie. Die wollen gar nichts mehr unterschrieben haben. Deswegen mussten wir uns gerade fragen, ob wir überhaupt Autogrammkarten brauchen. Früher gab es noch kein Twitter, kein Instagram. Und die Plattenfirmen erzählen uns immer etwas von Downloads, Streaming; ich habe irgendwann überhaupt keine Ahnung mehr, wovon die reden.
Tom: Ich verstehe es nicht, du kannst die Songs umsonst anhören, aber das zählt trotzdem für die Chartposition.
Bill: Als wir angefangen haben, haben die Märkte noch nachgeordert, weil unser Album ausverkauft war. Jetzt gibt es endlose Downloads. Natürlich auch illegale. Ich weiß gar nicht, ob es in zehn Jahren noch Plattenfirmen geben wird.
Die Welt: In Ihrem aktuellen Video küssen sich nicht nur sehr viele Menschen, sondern Bill lockt auch einen Breitschultrigen in einen Aufzug, wo dieser dann vor ihm in die Knie geht, um eindeutige sexuelle Handlungen vorzunehmen. Wie oft sind Sie in den vergangenen Tagen gefragt worden, ob Sie sich jetzt endlich zu Ihrer Bisexualität bekennen?
Bill: Ich hatte gedacht, dass es öfter gefragt wird. Die Idee des Videos ist – und das ist auch das, was ich lebe und glaube –, dass wir Liebe nicht bestimmen können. Und das ist schön so. Liebe setzt sich über Geschlecht, Religion und Glauben hinweg. Wer weiß schon, mit wem er schließlich im Fahrstuhl landet? Dass mir diese Frage gestellt wird, finde ich eigentlich den viel interessanteren Aspekt. Alle sollen lieben, wen sie wollen und wann sie wollen.
www.welt.de/kultur/musik/article132918233/Keine...
"Keiner will mehr ein Autogramm"
Einst flohen die Kaulitz-Zwillinge vor Stalkern nach Amerika. Nun sind Tokio Hotel zurück, mit dem Album"Kings of Suburbia". Ein Gespräch über Tarnidentitäten, erotische Videos und trinkbaren Rasen.
Es stimmt alles, was Sie über Tokio Hotel gelesen haben: Sie sind erwachsen geworden; sie haben gerade mit ihrem neuen Album "Kings of Suburbia" den besten und bratzigsten Dancepop veröffentlicht, den es in Deutschland je zu hören gab; und sie machen die Musik sogar selbst. Und zwar in Los Angeles (größtenteils), weil die Kaulitz-Zwillinge mittlerweile dort leben. Zum Interview empfangen Bill, Tom, Georg, Gustav und Hund Pumba allerdings in einem Keller in Berlin.
Die Welt: Wie verträgt Pumba das Reisen so?
Bill Kaulitz: Er ist das erste Mal geflogen, aber ihm geht es gut.
читать дальше
www.welt.de/kultur/musik/article132918233/Keine...
Es stimmt alles, was Sie über Tokio Hotel gelesen haben: Sie sind erwachsen geworden; sie haben gerade mit ihrem neuen Album "Kings of Suburbia" den besten und bratzigsten Dancepop veröffentlicht, den es in Deutschland je zu hören gab; und sie machen die Musik sogar selbst. Und zwar in Los Angeles (größtenteils), weil die Kaulitz-Zwillinge mittlerweile dort leben. Zum Interview empfangen Bill, Tom, Georg, Gustav und Hund Pumba allerdings in einem Keller in Berlin.
Die Welt: Wie verträgt Pumba das Reisen so?
Bill Kaulitz: Er ist das erste Mal geflogen, aber ihm geht es gut.
читать дальше
www.welt.de/kultur/musik/article132918233/Keine...