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WIR ZWEI SIND EINS
Tom und Bill Kaulitz und die kreative Kraft der Zwillinge
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BILL KAULITZ
Nasenring, gefärbte Haare, schrille Outfits: Der Leipziger Frontmann von Tokio Hotel ist bekannt für seinen extravaganten Stil.
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ICH BIN ER!"
BILL und TOM KAULITZ, 33, von Tokio Hotel und die kontroverse Kraft der Zwillinge: Der eine ist Bauchmensch, der andere Kopfmensch. Der eine ist Draufgänger und ledig, der andere geduldig und Heidi Klums Mann. Früher prügelten sich die beiden, bis Mama die Polizei rufen wollte. Heute sagen sie: ,,Wir zwei sind wie eine Person - besser geht's nicht!"
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Zwillinge mit Autoritätsproblemen, verhaltensauffällig, außer Rand und Band - wie hat Mum das nur durchgehalten?"
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Bill und Tom Kaulitz, 33, schalten
sich auf die Minute pünktlich in
den Zoom-Chat. In Los Angeles,
wo sie seit 2010 leben, ist es neun
Uhr morgens. ,,Früh für mich",
sagt Bill. Er sei niemand, der sich
morgens aus dem Bett beame und
denke: Let's start the day. Erst
abends werde er kreativ. ,,Ich liebe
die Nacht." Dafür sieht er sehr
frisch und gestylt aus. Auch Tom, sein
zehn Minuten älterer Zwillingsbruder,
ist gut gelaunt. Die beiden haben allen
Grund dazu. Gerade erschien ihr neues
Album ,,2001". ,,Es ist unser mutigstes
Album, weil wir dafür auch mal mit
anderen Leuten zusammengearbeitet
haben, auch mit anderen Künstlern,
etwa Daõi Freyr", sagt Bill.
Die beiden waren gerade einmal
fünfzehn, als sie mit ihrer Band Tokio
Hotel von heute auf morgen von der ost-
deutschen Provinz an die Weltöffentlich-
keit gefegt wurden: 2005 erreichte ihre
Debütsingle ,,Durch den Monsun" auf An-
hieb Platz eins der deutschen Charts, bis
heute hat die Band, zu der noch Gustav
Schäfer und Georg Listing gehören, mehr
als zehn Millionen Tonträger verkauft.
Als der Erfolg über sie hereinbrach,
lebten Bill und Tom noch in einem Dorf
bei Magdeburg, brachen kurz darauf die
Schule ab und zogen nach Hamburg. Als
die Fan-Belagerung auch dort zum Dauer-
zustand wurde, sogar in ihr Haus einge-
brochen wurde, flüchteten sie weder ins
Hotel noch nach Tokio, sondern gleich
nach Los Angeles, wo sie heute leben.
Seit 2019 ist Tom mit Model-Ikone
Heidi Klum verheiratet, seit 2021 spre-
chen er und Bill im Podcast ,,Kaulitz Hills
- Senf aus Hollywood" über ihren Alltag.
Die beiden Exilanten sind die erfolg-
reichsten Zwillinge Deutschlands - und
die symbiotischsten: ,,Wir sind wie eine
Person", sagen sie, ,,aber trotzdem wahn-
sinnig unterschiedlich." Wie geht das?
The RED buLletIN: Welche Erinne-
rungen habt ihr an eure Kindheit?
bill kAuLitz: Wir sind ständig umge-
zogen. Wir waren sieben, als sich unsere
Eltern getrennt haben. Zu dem Zeitpunkt
waren wir schon viermal umgezogen.
Erst lebten wir in Hannover, dann in
Magdeburg, wo wir mit unserer Mutter
zusammen bei unserer Oma gewohnt ha-
ben, das war die Zeit, als wir eingeschult
wurden. Danach sind wir mit unserer
Mutter in die erste eigene Wohnung
gezogen und dann mit neun aufs Dorf.
Dort haben wir zum ersten Mal eigene
Zimmer bekommen. Jeder durfte seines
tapezieren und gestalten, wie er wollte.
Meines war orange, Toms war blau, vor-
her hatten wir immer ein gemeinsames
Zimmer gehabt. Ich erinnere mich, wie
wir in unserem Doppelstockbett lagen
und stundenlang miteinander plapper-
ten. Aber auch an unsere Pyjamas, wir
hatten die gleichen, nur in unterschied-
lichen Farben.
Wie würdet ihr die Beziehung zu
eurer Mutter beschreiben? Hattet
ihr eine strenge Mutter?
TOm KAulitz: Unsere Mutter war eigent-
lich immer ein bisschen wie unsere beste
Freundin. Sie hat uns mit ganz viel Ver-
trauen großgezogen. Rückblickend frage
ich mich manchmal, wie sie das über-
haupt gepackt hat mit zwei Jungs, Zwil-
lingen, die völlig außer Rand und Band
waren. Wir hatten viele Probleme in der
Schule, Autoritätsprobleme, Auffällig-
keiten im Verhalten. Zwischendurch war
unsere Mutter alleinerziehend, bis dann
unser Stiefvater dazukam. Wir waren
schon sogenannte Schlüsselkinder, als
wir ganz klein waren, sind nach der
Schule allein nach Hause gegangen und
verbrachten dann den Nachmittag allein.
Das war wegweisend für alles, was da-
nach kam. Unsere Mum hat sich darauf
verlassen, dass wir - wahrscheinlich
auch, weil wir zu zweit waren - irgend-
wie klarkommen. Wir sind dann ja auch
mit fünfzehn schon ausgezogen, als es
mit Tokio Hotel so richtig losging.
bill: Man muss dazusagen, dass wir
eine sehr, sehr junge Mama hatten. Sie
hat uns mit 21 bekommen, auch deshalb
waren wir uns immer sehr nahe.
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Ihr seid als Brüder sehr symbiotisch,
ihr habt mal erzählt, dass ihr nie
länger als 24 Stunden voneinander
getrennt wart. Hattet ihr denn auch
Phasen, in denen ihr euch bewusst
voneinander abgegrenzt habt?
bill: Wir kamen immer im Doppelpack,
wir wurden oft auch nur ,,die Zwillinge"
genannt, und ich glaube, dass wir un-
bewusst ganz früh, schon im Kinder-
garten, angefangen haben, nach außen
hin unsere ganz eigene Persönlichkeit
auszuleben mithilfe unseres Styles. Als
wir angefangen haben, richtig zu denken
und eine Meinung zu haben, ich würde
sagen, so mit fünf, sechs Jahren, wollten
wir uns schon selber anziehen und nicht
mehr die gleichen Sachen tragen. Wir
waren dann ganz verschieden, einer
hatte lange Haare, einer kurze. Obwohl
wir so symbiotisch waren, so eng und un-
zertrennlich, waren wir nach außen hin,
im Musikgeschmack, im Styling, immer
wie Yin und Yang. Es gab auch Momente,
in denen sich Tom vor seiner Gang ge-
schämt und mir gesagt hat, ich dürfe
nicht mit ihm in der Schule rumhängen,
weil er gerade als Punk unterwegs war
und ich in meiner Techno-Welt.
Seid ihr euch charakterlich ähnlich
oder eher verschieden?
том: Das ist wahnsinnig schwer zu sa-
gen, weil wir eigentlich komplett gleich
ticken. Wir haben ein Grundverständnis
füreinander, weil wir uns zu tausend
Prozent in den anderen hineinempfinden
können. Wir sind wie eine Person, aber
gleichzeitig wahnsinnig unterschiedlich.
Manchmal fühlt es sich an, als wären
wir eine schizophrene Person.
bill: Ich bin aufjeden Fall extrovertier-
ter als Tom und auch viel mehr Bauch-
mensch.
tom: Ich bin eher der Kopfmensch, der
Planer. Und natürlich klüger, hübscher
und lustiger…
Gab es zwischen euch auch eine
brüderliche Rivalität?
tom: Nein, es war nie so, dass wir uns
wirklich ernsthaft gestritten haben
um Mädchen oder Aufmerksamkeit.
Gegenseitiger Neid oder Rivalität sind
uns völlig fremd.
bill: Aber wir hatten früher natürlich
auch Phasen, in denen wir uns geprügelt
haben.
Tом: Aber nicht aus Rivalität.
bill: Da ging es dann um Meinungs-
verschiedenheiten, wir haben uns gegen-
seitig geärgert und Grenzen ausgetestet.
Und wenn wir uns geprügelt haben,
dann war das wirklich so, als ginge es
um Leben und Tod, meist haben alle
anderen den Raum verlassen, weil das
echt scary war. Meine Mutter dachte,
sie müsse gleich die Polizei rufen. Aber
auch das gehörte dazu, dass die anderen
dachten, um Gottes willen, die werden
nie wieder miteinander reden - und
fünf Minuten später haben wir einander
schon wieder gefragt: ,,Was bestellst du
dir zum Essen?" - ,,Ach, okay, ich neh-
me das Gleiche." Wir konnten nie lange
sauer aufeinander sein. Die längste Zeit,
in der wir nicht miteinander geredet
haben, waren vielleicht zwölf Stunden.
"Im Styling waren wir wie
Yin und Yang: Tom schämte
sich ein bisschen, als ich in
meiner Techno-Phase war."
Bill Kaulitz
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"Wir hatten unsere Lows und
Dämonen - aber wir haben uns
gegenseitig aufgefangen."
Bill Kaulitz
Was ist denn im Nachhinein das
Schlimmste, was ihr euch gegenseitig
angetan habt?
bill: Physisch, würde ich sagen, dass
wir uns geprügelt haben mit allem, was
im Raum zur Verfügung stand. Wir haben
aber nie etwas gemacht, was den anderen
wirklich nachhaltig emotional verletzt
hat. Das waren alles Kindergartensachen,
mal ein Geheimnis verraten oder einander
mit Handyfotos erpressen. Wir waren
wahnsinnig eitel als Kinder und fühlten
uns natürlich unglaublich cool. Jeder
hatte seine Clique und seinen Style.
Und da haben wir einander ungestylt
heimlich zu Hause fotografiert und uns
dann gegenseitig mit den Fotos erpresst.
Aber wir hatten nie einen wirklich
großen Streit, weder als Geschwister
noch in der Band.
Was bewundert ihr am anderen?
tom: Wäre ich ein Einzelkind gewesen,
was ich mir natürlich nur wahnsinnig
schwer vorstellen kann, hätte ich ein
komplett anderes Leben geführt. Das ver-
danke ich Bill: Ich glaube, ich wäre ohne
ihn ein ganz anderer Typ geworden.
In welcher Hinsicht?
ToM: Ich hätte ein wesentlich unkreati-
veres Leben geführt. Bill hat sich immer
alles getraut, nie über Konsequenzen
nachgedacht, sondern einfach gemacht.
Bill hat sich mit zwölf auf eine Bühne
gestellt und ,,It's Raining Men" gesungen.
Ich hingegen habe schon immer auch
auf das Umfeld geachtet, ein bisschen
mehr geschaut, was gerade cool ist. Ich
habe mich mehr angepasst als Bill. Da
wir aber zu zweit waren und Bill der
kreativere und freiere Geist war, ist diese
Seite dann auch in mir zum Vorschein
gekommen.
BIll: Tom hat eine Geduld, die ich nicht
habe. Er sitzt im Studio, produziert
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BACKSTAGE
,,Letzte Worte" in der
Garderobe, dann der
Weg auf die Bühne -
Tokio Hotel beim
Red Bull Soundclash
in Dortmund
unsere ganze Musik, das könnte ich im
Leben nicht, das würde mich wahnsinnig
machen. Tom kann Tage im Studio ver-
bringen und mit irgendwelchen Sounds
experimentieren. Er ist auch sehr viel
musikalischer als ich. Ich bin da eher der
Frontmann, ich liebe es zu singen und
auf der Bühne zu stehen.
So eng, wie ihr miteinander seid -
geht ihr einander nie auf den Geist?
bill: Wir haben unser ganzes Leben
zusammen verbracht, und natürlich hat
uns die Karriere noch enger zusammen-
geschweißt. Mit fünfzehn ging es bei uns
mit dem Erfolg los, wir sind raus aus der
Schule, saßen zusammen im Tourbus,
haben diesen ganzen Wahnsinn gemein-
sam erlebt. Wir waren einander engste
Vertraute, wir waren einander Familie,
hatten oft ja nur uns - und natürlich auch
Georg und Gustav, die anderen zwei aus
der Band. Wir vier waren immer unser
allerengster Kreis, und so ist es bei Tom
und mir auch. Es gab nie Momente, in
denen wir gedacht haben: ,,Jetzt muss ich
mal alleine sein oder hätte gerne meine
Ruhe." Wenn wir einsam waren, waren
wir zusammen einsam, wenn wir glück-
lich waren, waren wir zusammen glück-
lich. Geteiltes Leid ist halbes Leid.
Brüder messen sich ja gerne. Wer ist
denn der Stärkere von euch beiden?
toM: Wir haben unterschiedliche
Stärken.
bill: Es gibt Sachen, die würde ich gar
nicht probieren, da weiß ich gleich, die
muss Tom machen: Was tragen, was an-
bohren, was anbringen, ich würde auch
niemals eine Glühbirne austauschen,
solche Sachen kann ich null und will es
auch gar nicht können. Ich kriege bei so
etwas sofort schlechte Laune.
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SHOWTIME
Die Zwillinge teilen
sich das Rampenlicht
wie hier beim Red Bull
Soundclash 2022
genauso wie ihr Leben
abseits der Bühne.
,,Du hast immer jemanden, der
fast genauso aussieht, der
fast das Gleiche fühlt wie du."
Tom Kaulitz
Tом: Wenn ich im Studio mal sage:
,,Komm, fass mal kurz mit an!", ist für
Bill der Tag schon gelaufen.
bill: Wenn ich das schon höre, werde
ich richtig schlecht drauf. Aber das wäre
so ähnlich, als würde ich Tom sagen:
,,Komm, wir probieren mal ein paar Out-
fits für die nächste Tour an." Auf so etwas
hat er gar keinen Bock. Es gibt eben auch
Sachen, die Tom nie ohne mich machen
würde.
TOM: Ich würde ganz selten mal ein Inter-
view allein führen. Ich könnte mir auch
nie vorstellen, irgendwas zu moderieren
oder Fotoshootings zu machen. Das sind
die Dinge, die Bill liebt.
Glaubt ihr, dass alles, was über euch
hereingebrochen ist, schwerer zu er-
tragen gewesen wäre, wenn ihr keine
Zwillinge wärt?
bill: Jeder von uns hatte während all
dieser Jahre seine eigenen Dämonen,
mit denen er gekämpft hat. Wir hatten
unsere Lows, dachten, wir können nicht
mehr, wir wollen nicht mehr - aber wir
haben uns gegenseitig immer wieder auf-
gefangen. Allein wäre das in dem Aus-
maß, in dem es nötig war, nicht möglich
gewesen.
Ist die Bindung zwischen Zwillingen
dann doch noch mal stärker als
zwischen ,,normalen" Brüdern?
bill: Wir erleben viele Brüder, und Tom
und ich denken dann: Wie? Ihr wohnt
nicht zusammen? Telefoniert ihr nicht
jeden Tag? Wir haben auch schon andere
Zwillinge getroffen, die uns erzählen,
dass sie in unterschiedlichen Städten
leben und unterschiedliche Jobs haben.
Wir sind dann immer ganz fasziniert,
weil das für uns völlig unvorstellbar
wäre.
Ihr habt in den siebzehn Jahren, seit
ihr quasi über Nacht berühmt wurdet,
Höhen und Tiefen erlebt, die sich
andere kaum vorstellen können. Ihr
konntet eine Zeitlang nicht mal das
Haus verlassen, weil Fans vor dem
Grundstück campiert haben, und seid
dann regelrecht nach Los Angeles
geflüchtet. Wie habt ihr das alles ge-
schafft? Woher hattet ihr die Kraft?
bill: Ich glaube, wir schöpfen Kraft
daraus, dass wir wissen: Zum Glück bin
ich nicht allein. Und so eine Zwillings-
bindung wie unsere ist schon wahnsinnig
intensiv. Ich wünsche eigentlich jedem
Menschen auf der Welt einen Zwilling.
tom: Du hast immer jemanden, der fast
genauso aussieht, der fast das Gleiche
fühlt wie du. Du hast einfach dich noch
mal ein bisschen anders.
bill: Mir tut das fast leid, dass nicht
jeder einen Zwilling hat. Ich finde, Zwil-
ling sein ist das Allerbeste, was einem
Menschen passieren kann.
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+(05.04.2023)
Фото HQ




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