

„Ich war KAPUTT“
Vor zehn Jahren floh Bill Kaulitz nach Amerika, ausgebrannt. In Berlin stellte der Sänger von Tokio Hotel nun seine Biografie vor und erzählte, wie er sich mit Britney Spears einmal gar nichts zu sagen hatte
читать дальшеEr trägt Rosa an diesem Tag, einen Pyjama-Smoking im Liberace-Stil von Kilian Kerner, einem Berliner Designer. Ein Ausschnitt bis zum Bauchnabel legt den Blick auf einige Deziliter Tattoo-Tinte auf seiner nackten Brust frei. Eigentlich lebt Bill Kaulitz in Los Angeles. Seit einigen Monaten campt er mit Schwägerin Heidi Klum und deren Patchwork-Familie im Membersclub „Soho House“. Für seine Buchpräsentation empfängt er in einer Hotelsuite im „Waldorf Astoria“ – mit majestätischem Sicherheitsabstand.
WELT AM SONNTAG: Herr Kaulitz, wie klingt das Broken-Englisch der SohoHouse-Mitarbeiter durch die Maske?
BILL KAULITZ: Jaaa ... so sehr stört mich das gar nicht, aber so langsam fällt uns auch die Decke auf den Kopf. Man wohnt nett, aber es ist in Berlin natürlich gerade ähnlich wie in den USA. In L.A. ist ja seit März Lockdown, da ist die Stille genauso bedrückend. Alles zugenagelt, selbst große Ketten wie Pizza Hut sind pleite. Überall „For Sale“-Schilder. Kaum
einer, der da lebt, ist ja in L.A. geboren, viele sind jetzt in ihre Heimatstädte gefahren. Es ist tot. Zu Hause, in deiner Blase, glitzert dein Pool und winkt deine
Palme, aber wenn du runterfährst in die Stadt, auf den Sunset oder Hollywood
Boulevard – keine Touristen, kein Batman, der Autogramme verteilt. Selbst im Playboy-Mansion kein Geplansche. Sie waren ja mal zu Gast bei Hugh Hefner. Wie war’s denn so? Mega, aber auch skurril. Vor allem, als ich dort auf Britney Spears traf. Für mich
als 90er-Kind ist sie eine Ikone. Sie stand total weggedröhnt neben ihrem Manager und hielt mir so eine labbrige, nasse Hand hin, die gar nicht zugriff. Ich fand’s
trotzdem toll. Britney redete nicht, mit gar keinem. Ich befürchte, sie war völlig zu mit Medikamenten. Ich will meine Vorbilder nicht mehr treffen. Ich habe
auch immer Angst, Fans zu treffen. Man kann sie doch nur enttäuschen.
Sie haben ein eigenes Modelabel, „Magdeburg – Los Angeles“. In dem Namen steckt auch der Widerspruch von zwei Welten.
Билл: Für mich ist L.A. absolute Freiheit, auch weil ich dort natürlich viel unbekannter war und bin. Ich kam als Paradiesvogel da angeflogen, kein Schwein wusste, was ich mache, aber alle haben mich erst mal mit offenen Armen empfangen. Ich dachte sofort, ach, die sind aber alle nett hier. Viele halten diese Freundlichkeit ja
für künstlich und oberflächlich. Aber ich habe doch lieber einen höflichen oberflächlichen Menschen vor mir als ein Arschloch.
Wenn man als deutsche Celebrity ankommt und einen plötzlich keiner
mehr erkennt, ist das echt so awesome?
Ich fand das großartig, vor allem auch plötzlich Menschen ins Gesicht schauen zu können, statt abweisend auf den Boden zu starren. Man kann sich sehr einsam fühlen in L.A. Es gibt auch nicht das wilde Partyleben wie hier. Punkt zwei Uhr geht die Rauswerfbeleuchtung an, dann wird kein Drink mehr ausgeschenkt, selbst wenn Jay-Z und Beyoncé da sitzen. Ich hatte das Glück, dass ich
mit Tom dahin gekommen bin. 2010 hatten wir ja, nachdem der Rummel zu Hause derart absurd wurde und man in unser Haus eingebrochen hatte, alle eingepackt, Mama, Stiefpapa, fünf Hunde.
Wie weit sind Sie denn mit Ihrem Frank-Lloyd-Wright-Haus?
Ich bin bereits eingezogen, mit eigenem Tonstudio. Es liegt in den Hills, fünf Minuten vom Sunset entfernt. Da oben bin ich wie allein auf meinem Berg, mit
Mountain Lions und Kojoten. Ich verlasse mein Haus nicht groß. Um 9 Uhr steh
ich auf, mache meinen Selleriesaft, zieh mich richtig an. Jogginganzug, Gummizug macht mich faul. Ich brauche Haltung, ein festes Bündchen. Und dann sitz ich erst mal am Rechner, beantworte EMails und Calls, was ich hasse.
Berühmt sein ist das heutige Opium. Was kostet es eigentlich, Star zu sein?
Wie viel muss man jeden Monat zusammenbekommen, um sich so ein Leben überhaupt leisten zu können?
Erfolg bedeutet zuallererst mal viel, viel Arbeit. Dazu braucht man natürlich auch
einen Rattenschwanz an Mitarbeitern. Ich will hier keine Summe raushauen. Sagen wir so: Die Kosten, die ich im Monat aufbringen muss, für Band, mein Modelabel, für Businessmanager, Steuerberater, Anwälte, mein Haus, mein Leben,
verschlingt das Gehalt eines Bank-Vorstands. Es ist nicht einfach als Unternehmer und vor allem als Künstler in dieser Zeit. Wir mussten unsere Lateinamerika-Tour absagen, unsere Ticketing-Firma runterfahren, fünf Leute entlassen. Bis eins bin ich jeden Tag mit Orga-Kram beschäftigt. Danach gehe ich hiken, widme mich der kreativen Arbeit, der Musik. Abends schau ich Filme mit meiner Bulldogge. Eine Astrologin hat zu mir gesagt, dass Filme ganz, ganz wichtig für mich sind. Das klingt jetzt wahnsinnig LA-bescheuert, aber ich brauche Filme wie eine Therapie.
Filme als Therapie – wogegen?
Meinen Sozialschaden. Ich habe jahrelang wie in einer Raumkapsel gelebt. Securities haben mich abgeholt, irgendwo hingefahren. Außer mit der Band und der
Familie habe ich mit niemandem geredet. Wenn mich Leute direkt ansprachen, außerhalb eines Interviews oder Jobs, war ich vollkommen verunsichert. Ich war wie ein zwischenmenschlicher Sozialfall. Ich war kaputt. Mir Filme anzuschauen hilft mir, abzuschalten und zu lernen, im Jetzt zu bleiben.
Sie sind jetzt 31, morgen erscheint Ihre Biografie „Career Suicide“ im Ullstein
Verlag. Auf dem Cover sieht man Sie mit einer blutenden Schusswunde
zwischen den Brauen. Warum das?
Als Symbol meines Karriere-Suizids. Es gab Momente, wo ich so fertig war, dass
ich dachte, wenn jetzt mein Auto gegen eine Mauer fährt oder ich mit dem Flugzeug abstürze, wäre ich von aller Last befreit. Nicht, dass ich je eine Todessehnsucht hatte. Es war die reine Erschöpfung. Tür zu und Ruhe.
Vier Magdeburger waren die deutsche Rockband 2005: Ihr Bruder Tom war
der mit den verfilzten Haarwürsten, Sie der mit den schwarzen Ballettmädchenaugen, dem schweren Totenkopfschmuck am viel zu dünnen Körper und dieser Ananas-Frisur. Die 80ies-Palme! Der Klassiker, auch für
Frauen, burgunderfarben eingefärbt ... David Bowie hatte in „Das Labyrinth“
die gleiche Frisur in Erdbeerblond. Mit Ihrem androgynen Look wurden Sie zur Pop-Ikone, für Ihr exzentrisches Auftreten aber auch gehasst. Wir waren schon vor Tokio Hotel die Freaks, die nicht ins Bild passten. Wir wohnten in Loitsche damals, nördlich von Magdeburg. Morgens an der Bushaltestelle bei unserem Elternhaus wurden wir attackiert und bedroht. Im Bus quetschten sich alle Schichten des Lebens: Heimkinder, Streber, Sonderschüler, Asis, Ausländer, Neonazis, Linke. Das
war eine gefährliche Mischung. Dann kam auch noch Tom mit seinen Dreadlocks und seinem „Nazis raus“-T-Shirt und ich mit meinen Haaren, lackierte Nägel. Unsere Looks schrien danach, eins auf die Fresse zu kriegen. Es war jeden Tag wie in den Krieg ziehen. Als wir dann berühmt wurden, wurde die ganze
Bushaltestelle eingetreten von Radikalen. Ich hatte wahnsinnige Angst, auch
um unsere Eltern. Es gab „Kill Bill“-TShirts, Morddrohungen und vor jedem Konzert Polizeieinsatz. Wenn ich mir heute Heidis Kids angucke, die im gleichen Alter sind wie wir damals, wird mir erst klar, wie jung wir waren. Und wir wurden von Erwachsenen mit Steinen beworfen! Die anderen kamen zum Kreischen in Ihre Konzerte, nicht für die Musik. Unsere Musik schien fuckegal. Wir hätten auch „Alle meine Entchen“ singen können. Das war irgendwann so frustrierend. Egal, vorbei. Ich glaube ja, dieses Fansein, dieser Hype, ist ohnehin vorbei. Früher war das ein Lebensgefühl. Da hast du Tokio Hotel gehört, du hast nur
Tokio Hotel gehört und dich auch genauso angezogen. Hast vor Konzerthallen
geschlafen. Heute gibt’s Spotify und Instagram. Da sieht jeder, Bill ist gerade im
„Waldorf Astoria“. Wozu hinreisen, den seh’ ich doch auf meinem Smartphone,
noch viel privater sogar.
Sie sind kurz vor dem Mauerfall geboren, die DDR haben Sie nicht mehr erlebt. Trotzdem war Magdeburg wichtig.
Es war unser Zuhause nach der Trennung unserer Eltern. 1996 zogen wir zu
Oma und Opa in eine Siedlung, graue Rauputz-Blöcke, in denen verarmte
Rentner und sozial Schwache grimmig vor sich hin vegetierten. Unsere Familie
fühlte sich wie Wendeverlierer. Die Sicht der meisten war: Die „Scheiß-Wessis“ haben alles kaputt gemacht.
Ihre Mutter glaubte ja, dass in Ihnen die Seele ihrer Tochter, die sie abgetrieben hatte, weiter wohnt, und Sie deshalb so besonders sind.
Glaubt sie bis heute. Ich fand das immer ganz süß und bin dankbar, dass sie mich immer hat sein lassen, wie ich bin. Ihren Sohn im Badeanzug am Baggersee rumlaufen zu lassen, das hatte schon Eier!
Tom und Sie, das war schon eine PaarBeziehung. Auf einmal ist der andere
woanders. Wie ist das, wenn der Zwillingsbruder, mit dem man so eng ist,
auf einmal seine eigene Familie hat? Wie fühlt man sich als Single, oder sind Sie es vielleicht gar nicht?
Doch, ich bin Single. Ich weiß, dass viele denken: Oh Gott, was rennt denn der
Bruder die ganze Zeit mit? Kann der die nicht mal in Ruhe lassen! Ich kann Sie
beruhigen, es gibt tatsächlich Momente, wo ich auch mal nicht dabei bin. Heidi
hat uns natürlich zusammen kennengelernt, weil wir immer im Doppelpack
kommen. Sie sagt selbst, eigentlich habe sie zwei Männer geheiratet. Aber genau
darum funktioniert es auch. Tom und ich sind so verbunden, dass nie ein Partner
infrage kommen würde, der den anderen nicht mit integriert.
Ihr Beziehungsleben war ja immer so ein Geheimnis.
Es gab natürlich Beziehungen in meinem Leben. Die sind nur alle nicht so glücklich gelaufen. Ich habe das Problem, dass ich auf kaputte Menschen stehe. Meine letzte lief über zweieinhalb Jahre. Das war vor fünf Jahren. Hat mir das Herz gebrochen. Der Mann ist heute mit einer Frau verheiratet. Es gibt ja einige Typen, die dann so ein Doppelleben leben, weil sie Kinder wollen oder Druck von der Familie bekommen, wie es bei meinem Freund der Fall war. Es hatte auch mit
seinem Glauben zu tun, unsere Beziehung war ein echtes Problem für ihn,
was mich total schockiert hat. Ich musste zum Glück nie überlegen, wie erkläre ich das jetzt meiner Mama?
Zum Schluß die drängendste Frage: Planen Sie mal ein Duett mit Heidi?
Heidi ist immer fröhlich am Singen. Aber von einer Gesangskarriere träumt sie nicht. Wir können aber Schuhe tauschen! Wir haben die gleiche Größe. Uns verbindet die Leidenschaft zu riesigen Kleiderschränken, die gefüllt sind mit den geilsten Klamotten!
Фото из инстаграма bastianthiery:



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Билл дал это интервью 25 января 2021 года в отеле Waldorf Astoria Berlin.
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